
Lampenfieber, lass Dich umarmen!
Wenn ich meine Teilnehmerinnen frage, was ist das Allerschlimmste, was ihnen beim Sprechen passieren kann, höre ich immer: Blackout. Ich werde auch oft gefragt, ob ich als Schauspielerin Lampenfieber hätte. Und ob man was dagegen tun könnte. Mit diesem Artikel versuche ich meine Antworten darauf zu geben. Außerdem erzähle ich von meiner Lieblings-Theaterrolle, einem ungewöhnlichen Einsatz von Äpfeln sowie die Möglichkeit Lampenfieber zu Deinem Verbündeten zu machen. Doch eins nach dem anderen. Achtung, der Vorhang geht auf:
Meine Geschichte.
Mein schlimmstes Lampenfieber erlebte ich am Theater in Mülheim an der Ruhr. Gerade frisch nach der Schauspielschule absolvierte ich ein Vorsprechen nach dem anderen. Doch dieses war etwas Besonderes für mich.
Ich verspürte viel Resonanz mit der Mission des Theaters. Ein Teil des Ensembles zu werden, das multikulturelle Gesellschaft auf der deutschen Bühne widerspiegelt: Was Besseres konnte ich mir damals nicht vorstellen. Die Tatsache, dass es keine offiziellen Ausschreibungen gab, hinderte mich nicht daran, ein Vorsprechen zu bekommen. Zwei Wochen nach meiner Initiativbewerbung hielt ich einen Brief vom Theater in der Hand. Drei Tage später saß ich im Zug Richtung Ruhrgebiet.
Lampenfieber in Action.
An die fünfstündige Fahrt kann mich nicht mehr erinnern, dafür aber an alle Einzelheiten beim Vorsprechen. In meinem Kopfkino sehe ich Folgendes:
Ich stehe im Black auf der Bühne. Ich weiß, dass der berühmte und von mir hochgeschätzte Roberto Ciulli im Zuschauerraum sitzt. Meinem Herzschlag zufolge könnte ich genauso gut ein Kaninchen oder ein Rotkehlchen sein. Mir ist kalt, ich zittere. Ich bin mir nicht sicher, ob ich doch noch das WC aufsuchen soll. Nach vier Jahren Schauspielschule und wochenlangen Vorbereitungen habe ich mich nun dorthin gebracht, wo ich hinwollte. Doch jetzt will ich nur eins – weg!
Ich wiederhole fieberhaft den ersten Satz, den ich in der Rolle der Gräfin Orsina (“Emilia Galotti”, Lessing) sagen werde. Doch auch das scheint unmöglich zu sein: meine Oberlippe klebt an meinem Zahnfleisch, so dass ich nur undefinierte Laute von mir geben kann. Ich fühle mich nackt und unfähig aber kampfbereit. Meinen ersten Monolog eröffne ich mit einem energischen Gang begleitet von “Was ist das?…Niemand kommt mir entgegen…” Ich habe mich auf die Bühnenrampe katapultiert. Grelle Scheinwerfer im Gesicht, erwartungsvolles Schweigen im Publikum. Ich höre mich Sätze aufsagen, ich führe einstudierte Bewegungen durch, doch ich weiß nicht, wer das alles eigentlich macht. Irgendwann wird es mit der zugeklebten Oberlippe so schlimm, dass ich zu meiner heimlichen Waffe greife.
Meine erste Strategie gegen das Lampenfieber
Ich habe irgendwo gelesen, dass etwas Saures oder Scharfes Speichelfluss anregt. Da ich in meiner Rolle (wir schreiben das Jahr 1772) unmöglich einen Kaugummi einwerfen konnte, habe ich mich für einen sauren Apfel entschieden: “Verachtung? “(Gang zum Apfel) – “Wer denkt daran?” (erster Biss in den Apfel) – “Wem brauchen Sie das zu sagen? ” (zweiter Biss in den Apfel, zur Sicherheit)
Eine Stunde später. Theaterfoyer. Ich werde nach meinem Befinden gefragt. Und nach dem Apfel. Roberto Ciulli schaut mich mit strahlenden Augen an und sagt: Julia, ich habe das Gefühl, Sie haben heute nicht alles gezeigt, was Sie drauf haben.
Was war nun mit mir los? Warum ist mein Vorsprechen so miserabel gelaufen? Meine Diagnose lautet:
Ein schwerer Fall von Lampenfieber.
Ich schließe die Augen und stelle mir vor, wie es anders wäre. Ohne Herzrasen. Und ohne Apfel. Was wäre alles möglich, wenn ich ICH sein könnte….. auch wenn ich auf einem Silbertablett präsentiert werde. Bin ich dem Lampenfieber für immer ausgeliefert? Werde ich deswegen niemals das erreichen, wovon ich träume?
Nach dem Motto “Du musst deinen Feind kennen, um ihn besiegen zu können” nehme ich das Phänomen Lampenfieber unter die Lupe: Was ist das eigentlich? Wo kommt es her? Und: Was kann ich dagegen tun?
Was ist eigentlich Lampenfieber?
Wenn man “Lampenfieber Definition” bei Google eingibt, findet man viele Vorschläge. Diese drei fand ich persönlich am besten:
- Laut Duden ist Lampenfieber “starke nervöse Erregung, Angst und innere Angespanntheit unmittelbar vor einer Situation, in der man sich zu bewähren hat, besonders vor einem öffentlichen Auftreten, vor einer Prüfung o. Ä”.
- Harry Holzheu definiert Lampenfieber als “eine besondere Form der Angst“
- Detlef Bührer schreibt, dass hinter Lampenfieber “Versagungsangst und die Furcht vor einer Blamage” stehen.
Diese Angst wird dann auf der physischen Ebene sichtbar. In meinem Fall sind es Kältegefühl, Herzrasen und Mundtrockenheit. Vielleicht zeigt sich Dein Lampenfieber in Form von Schweißausbrüchen, Blackout oder fehlenden Stimme? Ob kalt oder heiß: die Verbindung zwischen unseren Emotionen und unserem Körper können wir spätestens jetzt nicht mehr leugnen. Das berühmte limbische System übernimmt das Kommando, mein Steinzeit-Gehirn sieht nur Säbelzahntiger um mich herum, die drei F’s (fight, freeze, flee) sind meine einzige Rettung. Blutdruck steigt, Adrenalin wird tonnenweise ausgeschüttet.
Woher kommt Lampenfieber?
Doch warum war ich so entspannt bei den Proben und wie ferngesteuert beim Vorsprechen? Du erinnerst Dich, was ich oben geschrieben habe: ich hatte einen immensen Leistungsdruck. Ich bin mit dem Gedanken “Den werde ich beweisen” in die Situation reingegangen. Ich war “kampfbereit”. In meinem Kopf gab es eine Trennwand zwischen mir und den Anderen. Ich dachte, es geht im wahrsten Sinne um Leben und Tod. Und noch was. Mein Körper konnte sich so schnell an die früheren lampenfiebrigen Umstände erinnern, dass zukünftige Erscheinungen bereits vorprogrammiert waren.
Was kann ich dagegen tun?
Ich erinnere mich an den Moment, wo ich eine neue Herangehensweise für mich entdeckt habe. Anstatt “Ich muss mich beweisen” habe ich gedacht “mal schauen, ob wir zu einander passen” (funktioniert übrigens auch bei einem Bewerbungsgespräch). Natürlich habe ich heute eine gewisse Routine, wenn es ums Sprechen vorm Publikum geht. Doch ganz ohne Aufregung und Kribbeln im Bauch könnte ich niemanden begeistern oder von meiner Idee überzeugen. Eine mittlere Dosis an Lampenfieber macht uns wach, erfinderisch und präsent.
Weißt Du was Schauspieler und Eis Hocker Spieler gemeinsam haben? Sie sind mindestens eine Stunde vorm Spielbeginn da. Der Körper wird aufgewärmt und gelockert. Es findet eine kleine Transformation statt, wenn sie die Ausrüstung/das Kostüm anziehen. Wenn aus “gewöhnlichen” Menschen “Spieler” werden. Der Text ist längst gelernt und geprobt, die Strategie abgesprochen. Eine Stunde vor der Show-Time werden unangenehme Sachen vermieden, private Angelegenheiten beiseite gelassen.
Im stressigen Alltag vergessen auch ich manchmal, warum ich das mache, was ich mache. Warum wollte ich das Thema präsentieren? Was möchte ich mit meiner Rede bewirken? Kenne ich mein Publikum? Wie kann ich mich mit den anderen verbinden?
Wie hat sich mein Lampenfieber verändert?
Seit dem Vorsprechen in Mülheim an der Ruhr sind mehrere Jahre vergangen. Ich habe gelernt, mich wirklich auf die Bühne zu freuen ohne gleich Leistungssport zu treiben. In “low-risk” Situationen habe ich positive Erfahrungen gesammelt. Mein limbisches System übernimmt nicht mehr das Kommando. Dank Selbstregulierung und Vorfreude kann ich zwei Stunden am Stück auf der Bühne sprechen, ohne in den sauren Apfel zu beißen. Ich erlaube mir nicht perfekt und verletzlich zu sein. Ich nehme viele (Sprech)Situationen mit Humor.
Und ich singe. Hast Du gewußt, dass wir nicht gleichzeitig singen und Angst haben können? Dass Stimme unsere geheime Superpower ist?
Und dann gibt es noch einen Satz von meiner Regiesseurin, den ich kurz vor dem Auftritt höre: Der Zuschauerraum ist voll – genieß es! Ich genieße diesen Zustand. Es ist was ganz Besonderes für mich. Aus einem fiesen Lampenfieber ist ein imaginäre Freund geworden, der mir den Rücken stärkt und Zuversicht gibt. Ich muss nichts mehr bekämpfen. Ich hab Vertrauen. In solchen Momenten könnte ich die ganze Welt umarmen.
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Die nächste Runde startet demnächst!


6 Kommentare
Katja
‚Schauen, ob wir zueinander passen‘ – das ist gut! Es bringt mich auf dieselbe Ebene wie mein Gegenüber.
Julia Romanova
Genau, liebe Katja! Was Wertschätzung auf allen Ebenen mitbringt!
Svenja Lehmann
Die Routine nimmt die Angst – da stimme ich total zu. Und ein gewisses Kribbeln im Bauch finde ich menschlich und zeigt, dass man Respekt vor etwas hat.
Julia Romanova
Ja, das es was Besonderes ist 🙂 Was auch (Vor)Freude bereiten darf!
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