Persönliches

Ein anderer Muttertag

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Als Russin den Muttertag am 9. Mai zu feiern fühlt sich merkwürdig an.
Dieses Datum ist so tief in meiner Familiengeschichte verwurzelt, dass es gar keinen Platz für etwas anderes gibt. Seit ich mich erinnern kann gab es an diesem Tag große offizielle Feierlichkeiten mit Orchestermusik und roten Nelken. In der Schule lauschte ich ehrfürchtig den Geschichten der Befreiung und malte Bilder mit der Überschrift “Nie wieder Krieg”. Bei meinen Großeltern gab es dann “Tee mit was Kleinem”. Die Erzählungen von “damals” wurden mit schwarz-weiß Fotos und schnell abgewischten Tränen begleitet.

Damals kannte ich nur die Geschichten von meinen Groß- und Urgroßvater: wie sie beide gekämpft und es bis nach Berlin geschafft haben. Und, wie sie als Sieger nach Hause zurückgekommen sind. Die Geschichte meiner Oma wurde verschwiegen. Dass sie drei Jahre im Arbeiterlager bei Rathenow verbracht hatte, erfuhr ich erst mit sechzehn. Im gleichen Alter marschierte meine Oma zusammen mit anderen jungen Mädchen Richtung Westen. Voller Hoffnung endlich eine Arbeit zu bekommen und mit Geld zurückzukehren….

am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park

 

Der Muttertag am 9. Mai…. Ich sitze auf dem Boden im Kinderzimmer und versuche die zerschlagene Feuerwehrstation wieder zusammenzusetzten. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich heute nicht zum Treptower Park fahren kann. “Nicht so schlimm”, sagt mein Fünfjähriger, “dann spiele ich eben mit Andril”.

Letztes Jahr war ich an diesem Tag mit meinem Sohn am Sowjetischen Ehrenmal. Wer hier am 9. Mai zufällig seine Jogging Runde macht, wird in eine andere Dimension fallen. Es gibt Orchestermusik und rote Nelken. An keinem anderen Ort höre ich so viel Russisch wie hier. Im Schatten der Statue werden schweigend Plastikbecher geleert. Man trinkt, um nicht zu vergessen.

Ich bekomme heute viele Nachrichten. “Alles Liebe zum Muttertag” steht nur auf Deutsch geschrieben.

Ich bin professionelle Schauspielerin, Stimm- und Präsenztrainerin

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